Bekommt nichts, wer weniger verlangt, als ihm zusteht?

Ja, das ist die Frage, die ein wirkliches Urteil aus dem Referendarleben aufwirft. Und da die Geschichten, die das Leben schreibt, immer noch die besten sind, folgt hier die Schilderung des Falls. Die Ausgangslage ist die folgende:

Ein Autoverkäufer wird verurteilt, an den Käufer eines Pkw’s 4.500 € Zug-um-Zug gegen die Rückgabe des betreffenden Pkw’s zu zahlen. Des weiteren wird der Verkäufer verurteilt, „im Rahmen der Rückabwicklung dieses Kaufvertrags dem Kläger materiellen Schaden in Höhe von 1.002,02 <sic> zu zahlen“. Aus diesem Betrag begehrte der Kläger nun 4% Verzugszinsen ab dem Tag, der auf den Verzugsbeginn folgt.

Wie muss das Gericht hinsichtlich der Verzugszinsen urteilen?

Ausgangspunkt für die Überlegungen ist § 288 Abs. 1 BGB:

Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.

Beantragt wurden aber – anders als in § 288 Abs. 1 BGB vorgesehen – nicht Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, sondern 4% Verzugszinsen ab dem Datum des Verzugsbeginns.

Das führt zunächst zu der Auslegungsproblematik, ob trotz des Unterschieds der Formulierung und trotz des Unterschieds in der Berechnungsweise die vom Anwalt gewählte Formulierung „4% Verzugszinsen“ verstanden werden darf als „4 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz“. Da allgemein angenommen wird, dass der Antrag auch bei missverständlicher Formulierung im gesetzlichen Sinne zu verstehen ist, liegt hier kein entscheidendes Problem (vgl. zu diesem Thema „5% Zinsen über dem Basiszinssatz?“).

Damit stellt sich nun die Frage, wie zu verfahren ist, wenn Verzugszinsen nicht in der gesetzlich vorgesehenen Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz verlangt werden, sondern dem Antrag ein niedrigerer Satz zugrundegelegt wird.

Die Antwort ist einfach: Niemand ist gehindert, weniger zu verlangen, als ihm zusteht. Die Teilklage lässt grüßen … .

Das Gericht sieht das aber anders und entscheidet so:

Soweit der Kläger Verzugszinsen seit dem 19.07.2018 in Höhe von 4% aus 1.002,02 € begehrt, ist die Klage nicht schlüssig und daher insoweit abzuweisen. Gemäß § 288 Abs. 1 BGB beträgt der Zinssatz für Verzugszinsen 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz. Aufgrund welcher Umstände der Kläger nunmehr Verzugszinsen i.H.v. 4% begehrt, hat er nicht vorgetragen. Die Klage ist daher insoweit abzuweisen.

Fehlende Schlüssigkeit bei einer Teilforderung statt der Gesamtforderung? Das kann nicht richtig sein. Die Partei ist nicht gehalten, Erklärungen dazu abzugeben, warum sie weniger als das ihr gesetzlich Zustehende verlangt.

Da es hier nicht um „Gerichtsbashing“ gehen soll, sondern nur um die Erkenntnis von Rechtstatsachen, sei lediglich versichert, dass von einem wirklichen Urteil eines Landgerichts vom 14.03.2019 mit dem Aktenzeichen 4 O 5/19 die Rede ist.

Übrigens wird die Thematik „4%-Verzugszinsen“ (alte Rechtslage) vs. „5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz“ (heutige Rechtslage) aktuell auch im Rahmen einer Entscheidungsbesprechung in der JuS angesprochen. Martin Schwab schreibt dort (Schuldrecht BT: Keine Kumulation von Zinsanprüchen im Bereicherungsrecht, JuS 2019, S. 1020, 1022):

Warum war V im Vorprozess eigentlich nur zu 4 % Zinsen verurteilt worden? Weil 1999, als das Urteil im Vorprozess gesprochen wurde, der Zinssatz für den Anspruch § 291 BGB <sic> bei 4 Prozentpunkten lag. Die heutige Verzinsung von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ist eine Neuerung, welche die am 1.1.2002 in Kraft getretene Schuldrechtsreform mit sich gebracht hat.

Nicht richtig ist dabei die Schlussfeststellung, dass die Verzinsung von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz durch die Schuldrechtsreform an die Stelle der vorherigen Regelung getreten sei.

Vielmehr ist dies bereits durch das „Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen“ (BGBl. I 2000, 330) vom 30.3.2000 mit Wirkung zum 1.5.2000 geschehen. Das „Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts“ (BGBl. I 2001, 3138) kam erst danach – am 26.11.2001 zum 1.1.2002.

9 comments

  1. 123 sagt:

    D.h. wie wäre richtigerweise zu tenorieren gewesen?

    • klartext-jura sagt:

      Folgt man der Ansicht, dass die Formulierung „4% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz“ in einem anwaltlichen Schriftsatz zu verstehen ist als „Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz“, sieht der Tenor m.E. insoweit wie folgt aus:

      Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 1.002,02 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.07.2018 zu zahlen.

      • 123 sagt:

        Aber darüber, dass im Klageantrag nicht auch „über dem jeweiligen Basiszinssatz“ steht, kommen Sie doch durch Auslegung nicht hinweg (sondern nur über die Falschbezeichnung von „Prozentpunkten“ als „Prozent“).

        • klartext-jura sagt:

          Wenn man den auf „Prozent“ lautenden Antrag im Sinne von „Prozentpunkte“ verstehen darf, muss man das konsequent weiter denken. Denn mit Prozentpunkten allein kann man nicht rechnen, man braucht vielmehr ergänzend einen Zinssatz als Bezugspunkt. Und das kann im Verzugskontext nur der in § 288 BGB i.V.m. § 247 BGB genannte Basiszinssatz sein. Diese Auslegungsargumentation wäre dann im zweiten Schritt ein Fall von „Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte“ (Goethe, Faust I, Vers 1412).

          Beim nochmaligen Nachdenken – danke deshalb für die Nachfrage – scheint aber auch eine ganz andere Argumentation möglich zu sein. Man könnte den anwaltlichen Antrag „4% Verzugszinsen“ wörtlich nehmen. Denn nichts zwingt dazu, den Anspruch auf Verzugszinsen in der Terminologie von § 288 BGB zum Ausdruck zu bringen. Man muss nur darauf achten, dass – falls nichts anderes vereinbart ist – die beantragten 4% Verzugszinsen die in § 288 BGB enthaltene Obergrenze von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nicht überschreiten. Das ist bei 4% in dem relevanten Verzugszeitraum nicht der Fall. Denn mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz kommt man auf einen Zinssatz von 4,12% (Basiszinssatz von minus 0,88% + 5 Prozentpunkte). Die beantragten 4% stellen sich demgegenüber als „minus“ dar. Man hätte also die 4% Verzugszinsen zusprechen können. Allerdings darf man in dieser Variante die „Deckelung“ („höchstens jedoch …“) nicht vergessen. Denn wenn der Basiszinssatz im Minusbereich weiter fällt, kann es sein, dass beim Aufaddieren von 5 Prozentpunkten ein Zinssatz von weniger als 4% herauskommt. Diese Lösungsidee hat den Vorteil, dass man keine „Auslegungskunststücke“ vollführen muss, sondern den gestellten Antrag wörtlich nehmen kann.

          • 123 sagt:

            Prima, so (= 2. Variante) sehe ich das auch.

          • Thomas Hochstein sagt:

            Das sehe ich ebenfalls so. Es erscheint mir einigermaßen schwierig, die Forderung nach Zinsen iHv 4% anders zu verstehen als genau das. (Selbst bei einer Forderung nach Zinsen iHv 5% erschiene es mir schon alles andere als unstrittig, statt „5%“ „5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz“ anzunehmen, aber bei 4% wirkt das doch sehr fernliegend.)

          • klartext-jura sagt:

            Danke, dann gibt es ja jetzt eine herrschende Meinung … . 🙂

  2. Sébastien Bollmann sagt:

    Falsch wäre auch, wenn das Gericht im Urteilstenor den richtigen Zinssatz aus § 288 Abs. 1 BGB herangezogen hätte. Dies würde einen Verstoß gegen den Grundsatz „ne ultra petita“ darstellen, welcher sich in § 308 Abs. 1 ZPO wiederfindet.

    Die durch das unrichtige Urteil vollständig verlorenen Verzugszinsen kann der Kläger jedoch auch nicht von seinem Prozessbevollmächtigten über § 280 Abs. 1 BGB als Schadensersatz verlangen. Zwar hätte der Rechtsanwalt 5 Prozentpunkte über den jeweiligen Basiszinssatz gelegener Zinsen beantragen können. Das daraus resultierende falsche Urteil kann jedoch nicht dem Rechtsanwalt als Pflichtverletzung zugerechnet werden, da es sich bei der vollständigen Abweisung um ein Fehler des Gerichts aufgrund falscher rechtlicher Würdigung handelt. Solche sind lediglich über Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelfe der Korrektur zugänglich.

    Auch findet § 319 Abs. 1 ZPO keine Anwendung, da der Anwendungsbereich bei unzutreffender rechtlicher Würdigung nicht eröffnet ist. Weder handelt es sich um Schreib-, noch einen Rechenfehler oder einer ähnlichen offenbaren Unrichtigkeit.

    Allenfalls kann der Kläger den Anwalt wegen der Differenz zwischen 4 Prozentpunkten und 5 Prozentpunkten in Regress nehmen. Dass es eine Änderung in § 288 Abs. 1 BGB gab, wie die Autorin herausgearbeitet hat, hätte der Rechtsanwalt wissen können und müssen.

    Die falsche Entscheidung ist jedoch auch auf dem Rechtsweg nicht mehr angreifbar, da es bei dem überschaubaren Zinsverlust an einer für die Berufung notwendigen Beschwer von mindestens 600,00 € fehlt und die Berufung üblicherweise nicht zugelassen worden ist, § 511 Abs. 2 ZPO.

    • klartext-jura sagt:

      Danke für die Ergänzung. Vermutlich kann man die Differenz zwischen 4 Prozentpunkten und 5 Prozentpunkten noch einklagen, es sei denn, die Einrede der Verjährung ist zu erwarten.

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