Zum Bezugspunkt des Vertretenmüssens im Rahmen von §§ 280 I, III, 281 BGB

Tobias von Bressensdorf stellt in der Zeitschrift „Jura“ (2016, 535 ff.) einen Fall vor, in dem es um einen Pferdekauf zwischen K und der D-GmbH und damit verbundene Folgen in Gestalt einer Operation geht. In der Fall-Lösung wird ein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 433, 434 I 1, 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB wie folgt geprüft (S. 538):

K könnte einen Anspruch auf Ersatz der Operationskosten
aus §§ 433, 434 I 1, 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 BGB gegen die
D-GmbH haben.

Kaufvertrag gemäß § 433 I BGB

[…]

Mangel bei Gefahrübergang gemäß §§ 433 I 2, 434 I BGB

[…]

Fristsetzung nach § 281 I 1 BGB

[…]

Vertretenmüssen

Gemäß § 280 I 2 BGB ist zu vermuten, dass die D-GmbH die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Umstände, aufgrund derer sich die D-GmbH exkulpieren könnte, liegen nicht vor.

Es gibt eine Stelle, an der eine differenziertere Betrachtungsweise notwendig wäre.

Genau, es geht um den Prüfungspunkt „Vertretenmüssen“. Es existieren verschiedene Ansichten zu der Frage, worauf sich das Vertretenmüssen (nicht: Verschulden) beziehen muss. Zwei Anknüpfungspunkte kommen in Betracht, nämlich die ursprünglich mangelhafte Leistung und die Nicht-Nacherfüllung innerhalb der gesetzten Frist. Dies führt zu folgenden Ansichten:

Ansicht 1: Das Vertretenmüssen muss sich auf die ursprünglich mangelhafte Leistung beziehen.

Ansicht 2: Das Vertretenmüssen muss sich auf die Nicht-Nacherfüllung innerhalb der gesetzten Frist beziehen.

Ansicht 3: Das Vertretenmüssen muss sich auf die ursprünglich mangelhafte Leistung oder die Nicht-Nacherfüllung innerhalb der gesetzten Frist beziehen.

Ansicht 4: Das Vertretenmüssen muss sich auf die ursprünglich mangelhafte Leistung und die Nicht-Nacherfüllung innerhalb der gesetzten Frist beziehen.

Idealerweise sollte man seinem Korrektor zeigen, dass man diese Diskussion kennt. Dass diese Differenzierung von Korrektoren erwartet wird, zeigen publizierte Fallbearbeitungen wie beispielsweise Baberske, JA 2018, 96 ff.

8 comments

  1. Max sagt:

    Die Frage des Bezugspunkts des Vertretenmüssens bei 281 BGB stellt sich gefühlt in jeder dritten Klausur. Trotzdem wird das Problem aus meiner Sicht in der Kommentarliteratur nicht befriedigend erörtert. Es fehlt vor allem ein gutes Klausurargument, weshalb man einer dieser 4 Meinungen den Vorzug geben sollte.

    I. Was ist Ihre persönliche Meinung zu den 4 Ansichten?

    II. Was ist der Bezugspunkt des Vertretenmüssens bei 437 Nr. 3, 280 I, III, 283 BGB? In Falllösungen zur eigenmächtigen Selbstvornahme im Kaufrecht findet man oft die Aussage, dass der Käufer keinen Anspruch gegen den Verkäufer aus 437 Nr. 3, 280 I, III, 283 BGB hat, weil der Verkäufer die Unmöglichkeit nicht zu vertreten hat (der Käufer selbst hat ja repariert; wobei bei der Prüfung der Unmöglichkeit der Nacherfüllung leider oft nichts bezüglich der Unmöglichkeit der Nachlieferung [Zweckerreichung?] geschrieben wird). Anderen zufolge kann auf die ursprüngliche Pflicht zur mangelfreien Leistung abgestellt werden, deren Verletzung der Verkäufer je nach Fallgestaltung zu vertreten haben kann. Diese Ansicht schließt den Anspruch aus 437 Nr. 3, 280 I, III, 283 BGB durch einen analoge Anwendung des 323 VI Alt 1 BGB aus.

    • klartext-jura sagt:

      I. Es ist schwer zu sagen, welcher Auffassung ich mich anschließen würde. In Klausursituationen ist es immer empfehlenswert, klausurtaktisch zu entscheiden, wenn man im Einzelfall eine entsprechende Zielrichtung auf Seiten des Aufgabenstellers vermuten kann.

      Wie in dem von mir zitierten Aufsatz von Baberske in der JA 2018, 96 würde ich befürworten, nicht ausschließlich auf ein Vertretenmüssen der ursprünglichen Schlechtleistung abzustellen. Ansonsten besteht nämlich die Gefahr, dass der Schuldner, der eine mangelhafte Lieferung nicht zu verteten hat, die Nacherfüllung vorsätzlich verweigern kann, ohne sich schadensersatzpflichtig zu machen (das wäre also ein Klausurargument, um diese Ansicht abzulehnen).

      Um den Käufer möglichst umfassend zu schützen (das wäre ein weiteres Klausurargument), kann es sich anbieten zu fordern, dass der Verkäufer für den Entlastungsbeweis weder die mangelhafte Leistung noch die Nichtvornahme der Nacherfüllung zu vertreten haben darf. Überzeugend finde ich insofern das Argument von Schwarze (ein weiteres Klausurargument), dass die „zweite Chance“, die dem Schuldner durch die Fristsetzung eingeräumt werden soll, nichts an der Haftung ab Fälligkeit ändern kann (Staudinger/Schwarze (2019) BGB § 281, Rn. B 86).

      So hätte man drei Argumente, mit denen man in einer Klausur arbeiten kann. Ob die Argumente einen dann individuell überzeugen ist natürlich eine andere Frage. Ein Korrektor muss sie jedenfalls akzeptieren, weil sie so vertretbar sind.

      II. Zu dem Problem der Selbstvornahme und § 283 BGB geht Müller (ZJS 2012, 444, 445) auf die Frage der Nachlieferung ein: „Durch die Unmöglichkeit der Nachbesserung ist allerdings noch nicht automatisch die Nachlieferung (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB) ausgeschlossen.“

      Müller löst die Frage des relevanten Zeitpunktes dann wie folgt:
      „Aber auch im Rahmen von § 283 BGB trifft den Schuldner die Schadensersatzhaftung nur, wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Bezugspunkt sind die Umstände, die zur Unmöglichkeit der Leistung geführt haben. Für die Zweckerreichung durch eigenmächtige Selbstvornahme ist jedoch der Käufer verantwortlich.“

      In der Tat würde sich dann aber die Frage stellen, warum der Käufer für die Zweckerreichung verantwortlich ist, wenn doch nach wie vor eine Nachlieferung in Betracht kommt. Man könnte vielleicht argumentieren, dass der Käufer nach § 439 Abs. 1 BGB die Wahl hat, ob er Mangelbeseitigung oder Nachlieferung wünscht. Mit der Mangelbesseitigung hat er zu erkennen gegeben, dass er keine Nachlieferung möchte. Die von ihm erstrebte Mangelbeseitigung hat er aber selbst herbeigeführt, also zu vertreten.

      Letztlich kommt man hier aber auch wieder zu der Frage, auf welchen Zeitpunkt es ankommt (ursprünglich mangelhafte Lieferung / Nichtvornahme der Nacherfüllung).

  2. Max sagt:

    Vielen Dank!

    I. Ihr erstes Argument kann man gewissermaßen auch in die andere Richtung einsetzen: Würde man nur auf die Nichtvornahme der Nacherfüllung abstellen, könnte selbst der Verkäufer, der vorsätzlich mangelhaft geleistet hat, von der Schadensersatzhaftung frei werden, indem er die Nichtvornahme der Nacherfüllung nicht zu vertreten hat. Das zeigt dann wohl auch besonders deutlich, was Schwarze meint.

    II. Danke auch hierfür. Ich bin mir hier immer noch nicht im Klaren, warum die Unmöglichkeit der Nachlieferung durch die Selbstvornahme der Nachbesserung eintritt – auch wenn die mangelhafte Sache nach den Vorstellungen der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsschlusses durch eine gleichartige und gleichwertige ersetzt werden kann und damit prinzipiell in Frage kommt. Damit zu argumentieren, dass sich der Käufer durch die Selbstvornahme für die Nachbesserung und gegen die Nachlieferung entscheidet, finde ich nicht überzeugend. Denn die Wahl zwischen den beiden Arten der Nacherfüllung zeitigt nur dann ihre Wirkung, wenn sie gegenüber dem Verkäufer erfolgt.

    Und: In der „umgekehrten“ Situation, dem (eigenmächtigen) „Deckungskauf“, also dem Kauf der mangelfreien Sache durch den Käufer bei einem Dritten (Selbstvornahme der Nachlieferung), soll keine Unmöglichkeit der Nacherfüllung eintreten:

    „Auch rechtlich gesehen ist die Nacherfüllung dem Bekl. des Ausgangsverfahrens [Verkäufer] nicht unmöglich geworden. Es liegt keine Unmöglichkeit unter dem Gesichtspunkt einer Zweckerreichung vor. Der Bf. war nicht verpflichtet, den erworbenen Kühler in sein Auto einzubauen. Er hätte ihn weiterverkaufen können oder für eine spätere Reparatur zur Seite legen können. Dementsprechend kann auch entgegen der Auffassung des BerGer. nicht davon ausgegangen werden, dass eine Nacherfüllung durch den Bekl. des Ausgangsverfahrens keinen Sinn mehr gemacht habe“ (BVerfG Beschl. v. 26.9.2006 – 1 BvR 2389/04, BeckRS 2006, 26166).

    Man hat also keinen Gleichlauf der Fälle, in denen der Käufer selbst repariert bzw. sich eine Ersatzsache am Markt beschafft.

    • klartext-jura sagt:

      I. In der Tat kann man das Argument auch in die andere Richtung einsetzen. So käme man dann zu dem Ergebnis, dass es für einen Schadensersatzanspruch genügt, wenn der Verkäufer entweder die ursprünglich mangelhafte Leistung oder die Nichtvornahme der Nacherfüllung zu vertreten hat.

      II. Danke für Ihre Gegenargumentation. So kann man das sehen. Allerdings erfährt der Verkäufer ja auf irgendeinem Weg, dass der Käufer die Sache nun selbst repariert hat (Forderung von Schadensersatz). Darin könnte man in gewisser Weise schon eine Erklärung der Wahl zwischen den beiden Arten der Nacherfüllung sehen. Das Argument mit dem Gleichlauf ist allerdings systematisch beachtenswert. Methodisch wäre ein Gleichlauf sicher wünschenswert. Es stellt sich aber die Frage, ob ein solcher Gleichlauf mit dem geltenden Recht erreicht werden kann. Fakt ist ja, dass die beiden Konstellationen vielfach unterschiedlich behandelt werden. Dafür gibt es zwei Antwortmöglichkeiten: Entweder ist die unterschiedliche Behandlung falsch oder richtig. Ist sie richtig, dann ist kein Gleichlauf zu erreichen. Oder sie ist falsch, dann wäre zu begründen, weswegen trotz Selbstvornahme einer Reparatur keine Unmöglichkeit gegeben ist. Man sieht: Ein spannendes Thema, aus dem man noch viel machen könnte.

  3. Prof. Dr. Marco Staake sagt:

    Die Kritik ist nicht berechtigt – und mehr noch: Die Forderung, Streitstände auch dann breit darzustellen, wenn sie für die Falllösungen keine Rolle spielen, ist kontraproduktiv und führt Studierende auf die falsche Fährte.

    In dem vorliegenden Klausurfall spielte das Vertretenmüssen schlicht keine besondere Rolle. Es war zu vermuten, eine Exkulpation im Sachverhalt nicht angelegt. Die Darstellung des Meinungsstreites ist dann nicht zielführend und führt lediglich zu lehrbuchartigen Ausführungen ohne Problembezug.

    „Idealerweise sollte man seinem Korrektor zeigen, dass man diese Diskussion kennt.“ – Nein, das sollte man nicht, sofern es nur darum geht, Wissen abzuladen. Idealerweise sollte man den Fall mit vertretbarer Argumentation lösen. Der Einbau von Meinungsständen wird weder erwartet noch honoriert.

    Dass diese Differenzierung von Korrektoren erwartet wird, zeigen publizierte Fall-Bearbeitungen wie beispielsweise Baberske, JA 2018, 96 ff.“ – Ich entgegne: Dass diese Differenzierung von Aufgabenstellern und Korrektoren nicht schematisch erwartet wird, zeigen publizierte Fallbearbeitungen [ein Substantiv reicht da] wie beispielsweise jene von Bressensdorf, Jura 2016, 535 ff.

    Klausurlösungen erfordern auch eine Beschränkung auf das Wesentliche. Für Klausuren ist der Ratschlag, möglichst viel Wissen einzubauen, aber schädlich. Viel hilft nicht unbedingt viel.

    Es mag ein „spannendes Thema“ sein, „aus dem man noch viel machen könnte“. Wohlan! Aber die Klausurlösung ist der falsche Ort dafür.

    • klartext-jura sagt:

      Vielen Dank für Ihre ausführliche Einschätzung und Kritik. Mein Blog-Beitrag beruht auf zahlreichen eigenen Erfahrungen mit der Korrektur meiner Klausuren im Studium und im Examen. Da stand oft genug bei Konstellationen wie der hier angesprochenen sinngemäß am Rand: „Zumindest hätte noch kurz angedeutet werden müssen, dass …“. Für eine breite Darstellung von Nebensächlichem habe ich nicht plädiert.
      P.S. Ihrer Anregung folgend habe ich den Bindestrich aus „Fall-Bearbeitung“ entfernt.

  4. 123 sagt:

    1) Die Aussage, dass man keine Rechtsfragen diskutieren darf, deren Beantwortung für die Falllösung irrelevant ist, ist trivial. Aber darum geht es hier doch gar nicht. Hier geht es darum, wie weit man sich in der Niederschrift auf eine bekanntermaßen streitige Rechtsfrage einlassen sollte, um überhaupt erst einmal festzustellen, ob sie für die Falllösung relevant ist.

    2) Auch insofern ist es allerdings in der Tat nicht ganz falsch, sich zu überlegen, ob die eingehende Behandlung der betreffenden Rechtsfrage wirklich im Sachverhalt „angelegt“ ist – bei Examensklausuren werden dem Wünschenswerten nicht selten durch das Machbare Grenzen gesetzt, zumal bei einer auch so schon mit Problemen überfrachteten Klausuraufgabe wie der, die in dem Aufsatz von v. Bressensdorf behandelt wird. Man wird deshalb häufig nicht darum herumkommen, dort Schwerpunkte zu setzen, wo sie mutmaßlich von Aufgabensteller und Korrektor erwartet werden.

    3) Abzuschätzen, an welchen Stellen eine derartige Schwerpunktsetzung mutmaßlich von Aufgabensteller und Korrektor erwartet wird, bedeutet für Examenskandidaten naturgemäß eine besondere Schwierigkeit. Es ist deshalb nicht die schlechteste Idee, sich hierbei am Kanon der „Probleme“ zu orientieren, die ihrer Bedeutung halber sogar in den Anfängervorlesungen behandelt werden. Das von der Blogautorin bezeichnete Problem des Bezugspunkts des Vertretenmüssens beim Schadensersatzanspruch statt der Leistung wegen Lieferung einer behebbar mangelhaften Kaufsache gehört ohne Zweifel zu diesem Kanon. Grundsätzlicher und wichtiger als die in dem Aufsatz von v. Bressensdorf zuvor in extenso diskutierte ziemlich überholte Streitfrage, ob unbestimmte Fristsetzungen ausreichen [der BGH verlangt seit längerem überhaupt keine explizite Fristsetzung mehr!], ist es allemal.

    4) Zudem kann man doch nicht im Ernst behaupten, das genannte Rechtsproblem sei nicht in diesem Sinne im Sachverhalt der besprochenen Klausur „angelegt“ gewesen, wenn deren Sachverhalt über mehrere Sätze Informationen enthielt, die das Vertretenmüssen hinsichtlich der Lieferung der mangelhaften Kaufsache gerade in Frage stellten. Der Verkäuferin lag nach dem Sachverhalt bei der Lieferung ein Sachverständigengutachten vor, das die Mangelfreiheit bescheinigte, und damit war sie für die in der Lieferung der mangelhaften Kaufsache liegende Pflichtverletzung prima facie „exkulpiert“ (ja, man könnte dann weiter überlegen, ob die für die Verkäuferin handelnde Person nach dem Sachverhalt wissen musste, dass das Gutachten fehlerhaft war – aber das muss man dann eben auch tun). Unter der Prämisse der ganz h.M., wonach es beim Schadensersatzanspruch statt der Leistung wegen Lieferung einer behebbar mangelhaften Kaufsache nun einmal zwei verletzte Pflichten gibt, stellte die höchstrichterlich noch nicht entschiedene Streitfrage zum Bezugspunkt des Vertretenmüssens deshalb gerade keinen tunlichst wegzulassenden „Lehrbuchstreit“ dar.

    5) Endgültig fragwürdig wird die von v. Bressensdorf gewählte Vorgehensweise, das Vertretenmüssen mit einem Pauschalsatz unter Hinweis auf die Beweislastumkehr zu erschlagen, beim später erörterten Anspruch aus § 280 I BGB auf Ersatz des mangelbedingten Nutzungsausfalls. Denn dieser Anspruch wird allein auf die in der ursprünglichen Schlechtlieferung liegende Pflichtverletzung gestützt. Kann man sich beim Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung noch damit beruhigen, dass das Vertretenmüssen hinsichtlich der grundlos verweigerten Nacherfüllung nach deutlich überwiegender Ansicht jedenfalls ausreicht, führt hier kein Weg vorbei, zum Vertretenmüssen hinsichtlich der ursprünglichen Schlechtlieferung Farbe zu bekennen.

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