Von den Tücken des „nur“ – oder: Die Ausnahmetrias

BergeIn der RÜ 2015 finden wir auf den Seiten 265ff einen Aufsatz von Horst Wüstenbecker zu dem Thema „Rechtsschutz im Verfassungsrecht – Die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht“. Auf Seite 269 beschäftigt sich der Autor mit der Individualverfassungsbeschwerde. Dazu lesen wir:

Beteiligtenfähig ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG jedermann, d.h. jeder, der Grundrechtsträger sein kann.

[Terminologisch spreche ich im folgenden in Anlehnung an Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 2011, Rn. 104 von Beschwerdefähigkeit.]

Nach Art. 93 I Nr. 4a GG entscheidet das Bundesverfassungsgericht

über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;

Damit im Zusammenhang steht § 90 I BVerfGG:

Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

Also sollten wir besser so wie Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, 2011, Rn. 104 formulieren:

„Beschwerdefähig ist, wer Träger des konkreten Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechts ist, dessen Verletzung er rügt […].“

Die Formulierung von Wüstenbecker ist also verkürzt, indem die Träger von grundrechtsgleichen Rechten nicht berücksichtigt werden. Diese sind aber in Art. 93 I Nr. 4a GG und § 90 I BVerfGG ebenfalls genannt und dürfen nicht unter den Tisch fallen.

Weiter schreibt Wüstenbecker zur Beteiligtenfähigkeit:

Neben natürlichen Personen sind dies nach Art. 19 Abs. 3 GG auch inländische juristische Personen, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Nicht beteiligtenfähig sind dagegen juristische Personen des öffentlichen Rechts, die als Grundrechtsverpflichtete nicht zugleich Grundrechtsträger sein können.

Neben dieser Regel beschreibt Wüstenbecker dann Ausnahmen:

Juristischen Personen des öffentlichen Rechts hat das BVerfG nur die Berufung auf die prozessualen Grundrechte nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (gesetzlicher Richter) und Art. 103 Abs. 2 GG (rechtliches Gehör) zugestanden, ein Teil der Lit. bejaht dies auch für den Justizgewährleistungsanspruch nach Art. 19 Abs. 4 GG.

Wer das so in Prüfungssituationen behauptet, wird sicher nicht mit der vollen Punktzahl belohnt.

Im Ausgangspunkt ist die Behauptung zwar richtig, wie man folgendem Zitat des Bundesverfassungsgerichts entnehmen kann:

Das Bundesverfassungsgericht hat es allerdings als zulässig angesehen, daß auch juristische Personen des öffentlichen Rechts sich jedenfalls auf die grundrechtsähnlichen Rechte der Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG berufen können (BVerfGE 6, 45 [49 f.]; 13, 132 [139 f.]).

(Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 08.07.1982, 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, 82 (104))

Es gibt aber nicht ausschließlich die von Wüstenbecker mit „nur“ als abschließend deklarierten Ausnahmen. Dazu lesen wir bei Geis/Thirmeyer, JuS 2012, 316:

Die zweite – äußerst klausurrelevante! – Ausnahme stellt im Bereich der Freiheitsrechte die Ausnahmetrias aus Rundfunkanstalten, Hochschulen sowie Religions- und Glaubensgemeinschaften dar. Diese juristischen Personen des öffentlichen Rechts können sich neben den Justizgrundrechten auf die Rundfunkfreiheit gem. Art. 5 I 2 GG, die Wissenschaftsfreiheit gem. Art. 5 III 1 GG bzw. die Religionsfreiheit gem. Art. 4 I, II i. V. mit 140 GG, Art. 136, 137 WRV berufen. Dies beruht auf der Erwägung, dass hinter ihnen regelmäßig natürliche Personen stehen, in deren Grundrechte mittelbar eingegriffen wird (sog. Durchgriffstheorie bzw. Lehre vom personalen Substrat). Der juristischen Person kommt daher eine (partielle) Grundrechtsfähigkeit zu.

Wie Geis/Thirmeyer betonen, handelt es sich um eine „äußerst klausurrelevante! Ausnahme“, sodass wir uns diese unbedingt merken sollten. Es wird sogar noch eine „vierte Ausnahme“ diskutiert, die einschlägig sein soll, soweit

eine juristische Person des öffentlichen Rechts der Sache nach ausschließlich die Funktion hat, die grundrechtlich gestützten Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen.

(Bethge in Mainz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2014, § 90 BVerfGG, Rn. 150a).

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