Tatort vs. Ergreifungsort

Bei Pötters/Werkmeister, Basiswissen Jura für die mündlichen Prüfungen, 4. Aufl. 2015, S. 34 lesen wir:

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich im Strafprozess nach den §§ 7 – 21 StPO. Hierbei gilt, dass die Staatsanwaltschaft vorrangig den Gerichtsstand des Ergreifungsorts i.S.d. § 7 Abs. 1 StPO wählt. Die sachliche bzw. instanzielle Zuständigkeit ergibt sich gemäß § 1 StPO auch aus den Vorgaben des GVG.

Zunächst habe ich einen Blick in § 7 I StPO geworfen:

Der Gerichtsstand ist bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk die Straftat begangen ist.

Das klingt aber nicht nach Ergreifungsort, sondern nach Tatort. Im Sinne der „Dunstkreismethode“ ist mir dann § 9 StPO aufgefallen:

Der Gerichtsstand ist auch bei dem Gericht begründet, in dessen Bezirk der Beschuldigte ergriffen worden ist.

FroschDas eigentliche Problem, das sich mir dann aber gestellt hat, war: Welchen Gerichtsstand wählt die Staatsanwaltschaft vorrangig? Ist der Ergreifungsort und damit § 9 StPO gemeint oder der Tatort und damit § 7 I StPO?

Also zunächst einen Blick in § 12 I StPO:

Unter mehreren nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11a und 13a zuständigen Gerichten gebührt dem der Vorzug, das die Untersuchung zuerst eröffnet hat.

Hier ist ein Prioritätsprinzip angeordnet. Jedoch beantwortet die Norm nicht die Frage, welchen Gerichtsstand die Staatsanwaltschaft vorrangig wählt. Dazu heißt es bei Volk/Engländer, Grundkurs StPO, 2013, § 5 Rn. 16:

Es liegt im Ermessen der Staatsanwaltschaft, bei einem dieser örtlich zuständigen Gerichte Anklage zu erheben (und überprüfbar ist ihre Wahl nur im Rahmen des § 16).

Bei Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2014, § 7 Rn. 1 erfahren wir, dass diese These nicht ganz unumstritten ist:

Die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts obliegt zunächst der StA (§§ 200 I, 407 I). Diese kann nach h. M. zwischen den verschiedenen Gerichtsständen nach ihrem Ermessen wählen. Die Vereinbarkeit einer solchen Wahlmöglichkeit mit dem Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 I 2 GG) wird aber mit Recht zunehmend bezweifelt (Engelhardt, DRiZ 1982, 419; Achenbach, Wassermann-FS, 1985, 855 m.w.N.).

Nun aber zurück zu der Frage, welchen Gerichtsstand die Staatsanwaltschaft vorrangig wählt.

Beginnen wir mit dem Tatort:

Bei ihm wird die Klage in der Praxis besonders häufig erhoben, denn dort ist der Augenschein einzunehmen; auch werden die Zeugen meist in der Nähe des Tatorts wohnen.

(Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2014, § 7 Rn. 2)

Und wann wird der Ergreifungsort als Gerichtsstand gewählt?

Er kommt praktisch vor allem bei Auslandstaten und solchen Inlandstaten in Frage, bei denen der Tatort nicht ermittelt ist […].

(Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 2014, § 7 Rn. 2)

Jetzt können wir den Satz bei Pötters/Werkmeister, Basiswissen Jura für die mündlichen Prüfungen, 2015, S. 34 korrigieren:

Hierbei gilt, dass die Staatsanwaltschaft vorrangig den Gerichtsstand des Tatorts i.S.d. § 7 Abs. 1 StPO wählt.

2 comments

  1. Und wer besonders punkten will, führt den tatsächlichen Regelfall der Anklageerhebung am Tatort rechtlich auch auf Nr. 2 Abs. 1 RiStBV zurück. Damit wird zwar zunächst nur die (Regel-)Zuständigkeit einer bestimmten Staatsanwaltschaft begründet, indirekt lässt sich daraus aber auch eine allgemeine Regel ableiten, nämlich die des Vorrangs der Tatortzuständigkeit.

    Ergänzend kann man die Kriterien aus Nr. 26 RiStBV heranziehen, die unmittelbar nur für Sammelverfahren gelten, aber natürlich ebenso Bedeutung haben, wenn alle Taten im Bezirk derselben Staatsanwaltschaft, aber verschiedener Amtsgerichte begangen wurden.

    Das ermöglicht dann auch ergänzende Fragen (und Ausführungen) zum Rechtscharakter der RiStBV und ihrer Bindungswirkung für Staatsanwälte auf der einen und Richter auf der anderen Seite …

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