Die juristische Doktorarbeit: Ein Ratgeber

lesendesmaedchen

Heute beginnt eine neue Serie: “Offline-Empfehlungen”. In regelmäßigen Abständen stelle ich dabei Bücher aus der juristischen Welt vor, die uns interessieren könnten. Der Transparenz wegen: Auf die Idee hat mich der Beck-Verlag gebracht, der mir die Zusendung von Rezensionsexemplaren angeboten hat. Rezensionen im klassischen Sinne sollen aber nicht geschrieben werden, weil es davon genug gibt. Vielmehr sollen in der praktischen Arbeit mit dem jeweiligen Buch gemachte charakteristische Erfahrungen geschildert werden. „Verrisse“ wird es nicht geben – solche Bücher schicke ich einfach zurück ;-).

Den Anfang soll heute das Werk „Die juristische Doktorarbeit – Ein Ratgeber für das gesamte Promotionsverfahren“ von Hannes Beyerbach machen. Ich habe mich für das Buch entschieden, weil ich gerade selbst an meiner Doktorarbeit schreibe.

Wenn Sie im Fitnessstudio den Trainer ansprechen, werden Sie mit ihm anders reden als mit dem Professor nach der Vorlesung oder mit dem Verkäufer in einem Antiquitätengeschäft.

(Rn. 298)

Beyerbach unternimmt den anspruchsvollen Versuch, für alle Fragen, die sich Doktoranden stellen, eine Antwort zu geben. Das reicht bis zu Details wie dem Thema der durchschnittlichen Seiten- und Fußnotenzahl (Rn. 13), der Frage der Kostenpflichtigkeit von Fernleihen (Rn. 67), dem sog. Kopierschein (Rn. 75) bis hin zu WhatsApp als Störfaktor (Rn. 252).

Dabei verarbeitet er Erfahrungen aus seiner eigenen Dissertation (Die geheime Unternehmensinformation: Grundrechtlich geschützte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse als Schranke einfachrechtlicher Informationsansprüche, Tübingen, 2012), die er verschiedentlich als Beispiel heranzieht. Ob dabei die Auseinandersetzung mit einem Rezensenten (Fn. 24 in Rn. 11) für das Thema weiterführend ist, mag dahinstehen.

Jeder Doktorand – das kann ich aus eigener Erfahrung sagen – wird aus dem Buch vielfältigen Nutzen ziehen können. Allerdings darf man das Buch nicht als „Rezeptbuch“ missverstehen, wie der Autor verschiedentlich deutlich macht. Die angesprochenen Themen sind aber alle einschlägig und jeder Doktorand muss sich darüber Gedanken machen. Dabei ist besonders positiv hervorzuheben, dass der Autor stets versucht, den Sinn und Zweck bestimmter formaler Regeln deutlich zu machen und so den Maßstab der Zweck-Mittel-Rationalität betont. Dies erfordert hin und wieder eine Einbeziehung grundlegender wissenschaftstheoretischer Gedanken. Auf diese Weise unterscheidet sich das Buch wohltuend von manchen sonstigen Handreichungen.

Oberster Maßstab für die Dissertation ist die Wissenschaftlichkeit. Um diesen Begriff mit Inhalt zu füllen, greift der Autor auf die Definition des Bundesverfassungsgerichts zurück. Er formuliert:

Ganz im Sinne der bekannten Definition des Bundesverfassungsgerichts kann unter Wissenschaft die <<geistige Tätigkeit mit dem Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen>>, also eine planmäßige Suche nach der Wahrheit gesehen werden.

Als Beleg wird „BVerfGE 35, 79 (113)“ genannt. In BVerfGE 35, 79 (112) wird allerdings die Forschung verstanden als „die geistige Tätigkeit mit dem Ziele, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen“ und als Unterfall der Wissenschaft zugeordnet. Wissenschaft hingegen erstreckt sich nach dem Bundesverfassungsgericht auf

jede wissenschaftliche Tätigkeit, d. h. auf alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist.

Wie sich daraus ergibt, kombiniert Beyerbach die Forschungs- und die Wissenschaftsdefinition des Bundesverfassungsgerichts und formt daraus eine Definition für „Wissenschaft“, die aber so nicht die des Bundesverfassungsgerichts ist. Das ändert aber nichts daran, dass der von Beyerbach gewählte Bezugspunkt für juristische Dissertationen als einschlägig angesehen werden kann, denn diese sollen forschend und damit wissenschaftlich orientiert sein.

Breiten Raum widmet der Autor der Frage der Recherche-Methoden. Das ist freilich bei der Arbeit an Dissertationen ein zentrales Thema. Allerdings wird bei der Darstellung der empfohlenen Online-Datenbanken juris nicht zutreffend charakterisiert. Juris verfügt nämlich über mehr Quellen als angegeben (Rn. 70), wie zum Beispiel J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch oder Erman, BGB.

Im Internet-Zeitalter beschäftigt „naturgemäß“ (ein Wort, das der Autor gerne verwendet) Doktoranden die Frage, ob, unter welchen Voraussetzungen und wie Internet-Quellen zitierfähig sind. Erfreulicherweise votiert der Autor hier für Offenheit, was hoffentlich zur weiteren Akzeptanz der Nutzung von Internet-Quellen in Dissertationen beitragen wird. Wenn diesbezüglich allerdings geraten wird, in der URL das „http://“ wegzulassen (Rn. 486), kontrastiert das damit, dass der Autor beispielsweise bei dem Werk von Knigge, welches er selbst als Beispiel nennt (Fn. 382 in Rn. 520) im Literaturverzeichnis das „http://“ hinzufügt (wie auch ansonsten).

Der Autor folgt der allgemein verbreiteten Empfehlung bei Internet-Quellen das Abrufdatum hinzuzufügen (Rn. 523). Dies soll erkennen lassen, dass man die Quelle tatsächlich gefunden und gelesen habe. Das hat streng genommen jedoch keinerlei Beweiswert und überprüfen lässt sich in aller Regel auch nicht, welchen Zustand die betreffende Seite zu dem angegebenen Datum hatte. Eine Ausnahme bilden nur archivierte Quellen mit Datum. Dies ist zum Beispiel bei www.archive.org der Fall, sodass sich die Frage stellt, ob man nicht nach www.archive.org zitieren sollte. Das hat auch den Vorteil, dass im sonstigen Internet nicht mehr verfügbare Seiten in diesem Archiv weiter zur Verfügung stehen.

Der Autor geht auch – und das ist zu begrüßen – auf Zitatenverwaltungsprogramme ein. Er verbindet dies mit dem Geständnis, dass er selbst die Nutzung des Programms Citavi „persönlich verworfen habe“ (Rn. 80) und stellt sodann fest: „Eine Literaturverwaltung kann freilich auch mit dem schlichten Schreibprogramm (in der Regel wird dies Microsoft Word sein) oder sogar mit handschriftlichen Notizen geleistet werden.“ (Rn. 81). Diesen Vorschlag kann ich aus eigener Erfahrung nicht unterstützen. Die vom Autor erfahrene Einstiegshürde ist nicht so hoch, dass man auf die Nutzung dieser wertvollen Instrumente verzichten sollte.

Die Frage der Zitierweise ist für Doktoranden besonders wichtig. Deswegen widmet der Autor diesem Thema zu Recht große Aufmerksamkeit. Ob aber der Ratschlag, sich im Zweifelsfall an der Habilitationsschrift des Betreuers zu orientieren („Hier unterlag er keinen formalen Restriktionen zum Zitieren (wie bei der Formatierung von Aufsätzen, Kommentierungen und den meisten Handbuchbeiträgen), sodass dieses Werk im Zweifel seinen <<Standard>> abbildet.“, Rn. 500) der Weisheit letzter Schluss ist, kann bezweifelt werden. Vermutlich haben Verlage auch für den Druck von Habilitationsschriften formale Vorgaben. Hinzu kommt, dass diese Orientierungsregel dann doch allzu subjektiv erscheint.

Der Autor folgt der nahezu herrschenden Meinung, dass amtliche Sammlungen „der vornehmere Publikationsort und deshalb einer wissenschaftlichen Arbeit angemessen“ seien. Ob die für amtlich gehaltenen Sammlungen dies tatsächlich sind, lässt sich mit Fug und Recht bezweifeln. Darauf hat Walker hingewiesen (JurPC Web-Dok. 100/1998, Abs. 2).

Dass Zitate korrekt sein müssen, betont der Autor berechtigterweise wie folgt:

Durch das Zitat geben Sie dem Leser zu erkennen, dass die Aussage, die Idee, der Begriff oder auch eine gesamte Argumentationskette nicht von Ihnen stammt. Sie nennen den Urheber und respektieren dadurch nicht nur dessen geistige Leistung, sondern geben Ihren Lesern zugleich die Möglichkeit, die Aussage nachzuprüfen […]. Das Zitat muss den Leser also in die Lage versetzen, die zitierte Stelle nachlesen zu können.

(Rn. 408)

Machen wir die Probe auf’s Exempel. In Randnummer 295 wird Knigge wie folgt zitiert:

Sein barbarischer Styl, seine bogenlangen Perioden, die unglückliche Fähigkeit, die einfachste, deutlichste Sache zu verwickeln, zu verdunkeln, und unverständlich zu machen, erfüllt Jeden, der Geschmack und Gefühl für Klarheit hat, mit Ekel und Ungeduld.

Dabei verweist er in Fußnote 237 auf Knigge’s Werk „Über den Umgang mit Menschen, Band 3, Kapitel 6, Seite 117 f. Aus dem Literaturverzeichnis erfahren wir, dass eine Online-Ausgabe des Buches von Knigge aus dem Jahre 1818 benutzt wurde. Dort heißt es aber:

Sein barbarischer Styl, seine bogenlangen Perioden, die unglückselige Fertigkeit, die einfachste, deutlichste Sache zu verwickeln, zu verdunkeln, und unverständlich zu machen, erfüllt Jeden, der Geschmack und Sinn für Klarheit hat, mit Ekel und Ungeduld.“

Statt „unglückselige Fertigkeit“ zitiert Beyerbach „unglückliche Fähigkeit“ und statt „Sinn“ erscheint „Gefühl“. Zugegeben: Dieser Zufallsfund lässt sich nicht generalisieren. Im Großen und Ganzen hält sich Beyerbach an seine eigenen Maßstäbe.

Übrigens, wenn man der Knigge-Spur weiter nachgehen will. Knigge sollte man nach der Erstausgabe zitieren, weil die späteren Ausgaben zahlreiche Bearbeitungen enthalten. In der Erstausgabe von 1788 (Band 2, Seite 116) lautet das Zitat:

Ihr barbariſcher Styl, ihre bogenlangen Perioden, ihre Gabe, die einfachſte, deutlichſte Sache weitſchweifig und unverſtaͤnd¬lich zu machen, erfuͤllt Jeden, der Geſchmack und Gefuͤhl fuͤr Klarheit hat, mit Eckel und Ungeduld.

Wenn man die Erstausgabe heranzieht, kann man auch in Zweifel darüber geraten, welche Zielgruppe unter den Juristen Knigge genau im Auge hatte. Aber das wäre nun wirklich ein anderes Thema.
Thematisch einschlägig ist allerdings das wichtige Thema der Plagiate, das der Autor aufgreift (Rn. 526 ff). Hier findet sich das folgende tröstliche Resümee:
Wenn Sie wissenschaftlich redlich arbeiten und die Ratschläge zum Zitieren einhalten, sind Sie weit davon entfernt, in die Fänge von Plagiatsjägern zu geraten – zumal Sie dazu im Zweifel auch zu unprominent sein dürften.
(Rn. 527)
Insgesamt bleibt es trotz kleiner „Nörgeleien“ bei der Empfehlung für Doktoranden, sich den Gedanken des Buches in eigenständigem kritischem Nachdenken zu öffnen. Und v. Kirchmann wird es verschmerzen, im Literaturverzeichnis (S. XVII) als „v. Kirchmann, Hermann Julius“ zu erscheinen :-).
Fakten zu dem Buch:

Beyerbach: Die juristische Doktorarbeit

Ein Ratgeber für das gesamte Promotionsverfahren
Von der Themenfindung bis zur Veröffentlichung

2015. Buch. XX, 211 S. Kartoniert
Vahlen ISBN 978-3-8006-4950-1
Format (B x L): 16,0 x 24,0 cm
Gewicht: 422 g

P.S. Es ist stets problematisch, Listen von Internetadressen einem Printwerk beizufügen, wie dies hier in Anhang 2 (Im Internet verfügbare Promotionsleidfäden deutscher Juraprofessorinnen und -professoren) geschieht. Dabei soll gar nicht von der kaum zu erzielenden Vollständigkeit die Rede sein, die der Autor selbst als Problem sieht (vgl. z.B. aus südwest-regionaler Sicht die Hinweise zum Anfertigen von Doktorarbeiten von Prof. Wendt und Hinweise für Doktorandinnen und Doktoranden von Prof. Eckardt). Leicht verlieren Links aus solchen Listen auch ihre Gültigkeit (vgl. z.B. den Verweis auf Bork). Am wichtigsten aber ist: Das Abtippen ellenlanger Internet-Adressen ist nicht benutzerfreundlich. Kurzum: Ein solche Liste sollte man nicht drucken, sondern online stellen.

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