Heimtücke – ein heimtückischer Prüfungspunkt

Victoria Ibold prüft in der JA 2016, 505 (510) das Mordmerkmal der Heimtücke wie folgt:

Heimtücke ist das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tötung. Zum Zeitpunkt, als B von hinten auf D einstach, hat D sich keines Angriffs seitens des B versehen und war daher in seiner natürlichen Abwehrfähigkeit beeinträchtigt. B wusste auch um die Arg- und Wehrlosigkeit des D und hat diese bewusst ausgenutzt. Der Tatentschluss des B umfasst damit das Mordmerkmal der Heimtücke.

Genügt eine solche knappe Prüfung der Heimtücke in Klausuren oder Hausarbeiten?

Daran sind Zweifel anzumelden. Wegen der absoluten Strafandrohung von § 211 StGB wird nämlich versucht, das Merkmal der Heimtücke enger auszulegen. Dazu gibt es verschiedene Ansätze.

So nimmt die Rechtsprechung Heimtücke nur an, wenn der Täter in feindlicher Willensrichtung gehandelt hat. Auf diese Weise sollen die Fälle ausgesondert werden, in denen der Täter zum (vermeintlich) Besten des Opfers gehandelt hat. Der BGH formuliert das z.B. so:

Der Begriff „Heimtücke” hat nach allgemeinem Sprachgebrauch eine feindliche Willensrichtung des Täters gegen das Opfer zum Inhalt. Diese feindselige Haltung des Täters gegen das Opfer zeigt sich darin, daß er dessen Arg- und Wehrlosigkeit zum Töten ausnutzt. Sie gibt damit dem Gesamtbild der Tat das Gepräge. Wenn der Täter jedoch – wie hier – seine Familie, die er sehr liebt, mit sich in den Tod nehmen, ihr also das Schicksal bereiten will, das er sich selbst zugedacht hat, weil er in krankhafter Verblendung meint, zum Besten seiner Familie zu handeln, so fehlt es ihm an der feindseligen Willensrichtung, die für das Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit kennzeichnend ist. Er handelt dann nicht heimtückisch.

(BGH, Beschl. v. 22.09.1956, GSSt. 1/56, NJW 1957, 70, 71)

Zusätzlich nimmt der BGH auf Rechtsfolgenseite in analoger Anwendung von § 49 I StGB zu Gunsten des Täters eine Strafrahmenmilderung vor, wenn das Tötungsunrecht zwar die Voraussetzungen der Heimtücke erfüllt, aber aufgrund besonderer Umstände nicht als besonders verwerflich erscheint. In den Worten des BGH:

Auch wenn in Fällen heimtückischer Tötung außergewöhnliche Umstände vorliegen, auf Grund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint, ist wegen Mordes zu verurteilen. Es ist jedoch der Strafrahmen des § 49 I Nr. 1 StGB anzuwenden.

(BGH, Beschl. v. 19.05.1981, GSSt 1/81 , NJW 1981, 1965, 1968)

In der Literatur werden andere Restriktionsversuche diskutiert. 

Nach einer Ansicht ist ein verwerflicher Vertrauensbruch zu fordern, damit das Tatbestandsmerkmale der Heimtücke bejaht werden kann (Eser/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Aufl. 2014, § 211 StGB, Rn. 26).

Nach einer anderen Ansicht ist eine Typenkorrektur vorzunehmen (vgl. (Neumann in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2015, § 211 StGB, Rn. 160). Diese wird in zwei Ausprägungen vertreten: Es gibt die positive und die negative Typenkorrektur.

Nach der positiven Typenkorrektur kann Heimtücke nur angenommen werden, wenn die besondere Verwerflichkeit positiv nachgewiesen werden kann. 

Nach der negativen Typenkorrektur kann Heimtücke nur angenommen werden, wenn die Tat aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise nicht als besonders verwerflich erscheint.

Wir sehen: Heimtücke sollte in Klausuren nicht vorschnell angenommen werden. Die veröffentlichten Fall-Lösungen zum Thema der Heimtücke zeigen, dass in aller Regel eine Auseinandersetzung mit den Ansichten in Rechtsprechung und Literatur verlangt wird.

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