Widerruf der Ermächtigung zum Auftreten in gewillkürter Prozessstandschaft

Kaiser/Kaiser/Kaiser schreiben in dem Skript „Die Zivilgerichtsklausur im Assessorexamen, Band II: Wiederholung und Vertiefung“, 5. Aufl. 2016 auf Seite 45:

Der Widerruf der Ermächtigung zum Auftreten in gewillkürter Prozessstandschaft ist ebenso wie der Rechtsverlust des materiellen Rechtsinhabers analog §§ 265 II 1, 261 III Nr. 1 ZPO ohne Einfluss auf den Rechtsstreit.

Es geht also um die interessante Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Ermächtigung zum Auftreten in gewillkürter Prozessstandschaft widerrufen werden kann.

Mit dieser Frage hat sich der BGH Anfang 2015 beschäftigt und kommt zwar zu dem gleichen Ergebnis wie Kaiser/Kaiser/Kaiser, allerdings mit einer anderen Begründung. Gleichzeitig erteilt der BGH der Lösung über §§ 265 II 1, 261 III Nr. 1 ZPO analog ausdrücklich eine Absage.

Schauen wir uns die Begründung des BGH Schritt für Schritt an (Urt. v. 27.2.2015, V ZR 128/14).

Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass die Voraussetzungen für eine Prozessstandschaft noch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorliegen müssen. Deshalb stellt sich die Frage, ob die von dem Rechtsinhaber erteilte Prozessermächtigung während eines laufenden Prozesses widerrufen werden kann und welche Auswirkungen ein solcher Widerruf auf die Zulässigkeit der Klage hat.

Der BGH betont zunächst, dass sich die Wirksamkeit des Widerrufs einer Ermächtigung zur Prozessführung nach den materiell-rechtlichen Grundlagen der Ermächtigung richte. In materiell-rechtlicher Hinsicht sei die Ermächtigung zur Prozessführung mit einer Verfügungsermächtigung gem. § 185 Abs. 1 BGB vergleichbar. Dies rechtfertige es, die Regelung über die Widerruflichkeit einer Verfügungsermächtigung nach § 183 BGB auch auf die Prozessführungsermächtigung anzuwenden.

Die Widerruflichkeit einer Ermächtigung ende nach § 183 S. 1 BGB erst mit der Vornahme des Hauptgeschäfts, wobei es auf dessen vollständige Verwirklichung ankomme:

Die vorherige Zustimmung (Einwilligung) ist bis zur Vornahme des Rechtsgeschäfts widerruflich, soweit nicht aus dem ihrer Erteilung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis sich ein anderes ergibt.

Bei einer Prozessführungsermächtigung ist das Hauptgeschäft die gerichtliche Durchsetzung eines Rechts. Deshalb umfasse die Prozessführungsermächtigung nicht nur die Einleitung eines Rechtsstreits, sondern auch dessen Führung insgesamt. Daraus folge, dass eine Prozessführungsermächtigung mit materiell-rechtlicher Wirkung grundsätzlich auch noch während des Rechtsstreits widerrufen werden könne, solange zur Durchsetzung des Rechts weiterhin Prozesshandlungen des Prozessstandschafters geboten seien.

Allerdings sei zu berücksichtigen, dass ein im Verhältnis zwischen dem Rechtsinhaber und dem Ermächtigten materiell-rechtlich wirksamer Widerruf der Prozessführungsermächtigung nicht in jedem Fall zur Unzulässigkeit der Klage führe. Erfolge der Widerruf nach Beginn der mündlichen Verhandlung, bedürfe es einer Zustimmung des Beklagten, damit eine Abweisung der Klage als unzulässig möglich ist. Dies ergebe sich aus den Grundsätzen über den Widerruf von Prozesshandlungen.

Bewirkungshandlungen, welche die Prozesslage unmittelbar beeinflussen sind wegen ihrer prozessgestaltenden Wirkung grundsätzlich unwiderruflich.

Erwirkungshandlungen, wie die Ermächtigung eines Dritten zur Prozessführung, kommt eine solche prozessgestaltende Funktion jedoch nicht zu. Deshalb sind sie solange widerruflich, bis durch sie eine geschützte Position der Gegenseite entstanden ist.

Eine geschützte Rechtsposition erlangt der Beklagte, wenn bereits zur Hauptsache mündlich verhandelt worden ist. Nach § 269 Abs. 1 ZPO kann die Klage dann nur noch mit Zustimmung des Beklagten zurückgenommen werden:

Die Klage kann ohne Einwilligung des Beklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden.

Da der Widerruf für den Beklagten – so der BGH – wie eine Klagerücknahme wirke, sei der Rechtsgedanke von § 269 Abs. 1 ZPO einschlägig.

Anders sehe es aus, wenn der Widerruf vor der Einlassung des Beklagten zur Hauptsache erfolge: Schutzwürdige Belange des Beklagten sind dann nicht berührt.

Gegen Ende seiner Argumentation wendet sich der BGH noch § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO zu und erläutert, warum diese Norm nicht einschlägig sein kann:

Aus § 265 II 1 ZPO lässt sich der Fortbestand der Prozessführungsbefugnis trotz Widerrufs der Ermächtigung weder unmittelbar noch auf Grund einer entsprechenden Anwendung herleiten.

Nach dieser Bestimmung hat die Veräußerung der im Streit befangenen Sache oder die Abtretung des geltend gemachten Anspruchs auf den Prozess keinen Einfluss. Dies bedeutet, dass bei einer Rechtsnachfolge auf Klägerseite grundsätzlich der bisherige Kläger den Prozess für den Rechtsnachfolger in gesetzlicher Prozessstandschaft fortführt […].

Hiermit ist der nachträgliche Wegfall der Voraussetzungen für eine gewillkürte Prozessstandschaft nicht vergleichbar, weil das materielle Recht, um das es im Prozess geht, bei einer Prozessstandschaft nicht übertragen wird. Es steht vielmehr schon während der Dauer der Prozessstandschaft, ebenso wie nach deren Ende, unverändert dem Rechtsinhaber zu […].

Und auch einer (analogen) Heranziehung von § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO widerspricht der BGH:

Der in § 261 III Nr. 2 ZPO im Zusammenhang mit der Zuständigkeit des Prozessgerichts statuierte Grundsatz der perpetuatio fori regelt einen speziellen Fall, der dem nach Klageerhebung erklärten Widerruf einer Prozessführungsermächtigung ebenfalls nicht gleichgestellt werden kann.

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