Kann die Haftungsfalle anwaltlich sein?

In der Literatur findet man hin und wieder die Formulierung „anwaltliche Haftungsfalle“. Man kann dies mit einer Suche in juris oder bei beck-online unschwer verifizieren. So lesen wir beispielsweise in einem Praxishinweis:

Die Entscheidung des OLG Celle schließt eine anwaltliche Haftungsfalle, die sich aus dem Auseinanderfallen der Zuständigkeiten der Rechtsmitteleinlegung und -begründung ergibt.

(Bruns, NZFam 2014, 236)

Oder an anderer Stelle in einem redaktionellen Hinweis:

Zur Zulassung bzw. Einlegung von Rechtsmitteln im Verwaltungsprozess als anwaltliche Haftungsfalle s. eingehend Unterreitmeier, NVwZ 2013, 399. Zur Umdeutung unzulässiger Rechtsmittel s. etwa BGH, NZG 2014, 1067.

(NJW-RR 2016, 757, 758)

Und – aller guten Dinge sind drei – schließlich noch:

(6) Tarifliche Ausschlussfristen als anwaltliche Haftungsfalle (Rn. 1168-1170)

(Hümmerich/Reufels/Reufels, Gestaltung von Arbeitsverträgen, 4. Auflage 2019, § 1 Rn. 1168)

Sollte man so formulieren?

Dagegen spricht folgende Überlegung. Das Adjektiv, das einem Substantiv hinzugefügt wird, soll eine Eigenschaft des mit dem Substantiv bezeichneten Gegenstandes oder der damit bezeichneten Person angeben. Deswegen gibt es für das Adjektiv auch die Bezeichnung „Eigenschaftswort“. Nun hat die „Haftungsfalle“ nicht die Eigenschaft „anwaltlich“ zu sein. Wovon in den Zitaten eigentlich die Rede sein soll, ist etwas anderes: Gemeint ist eine Haftungsfalle für Anwälte. Dann sollte man auch so formulieren.

Die Beobachtung, dass im juristischen Sprachgebrauch häufig Adjektive den Substantiven beigefügt werden, die eigentlich keine Eigenschaft des mit dem Substantiv Bezeichneten zum Ausdruck bringen, hat übrigens bereits Günther im Jahre 1898 beschrieben. Er spricht von„unrichtiger Beziehung des attributiven Eigenschaftswortes zum Subjekte“ (Recht und Sprache, S. 39 f.).

5 comments

  1. Besten Dank für diesen – jedenfalls für mich – augenöffnenden Beitrag; eine sprachliche Ungenauigkeit, derer ich mir noch nie bewusst geworden bin.

    Ist ein „kaufmännisches Bestätigungsschreiben“, auf das geschwiegen wird, tatsächlich in seiner Eigenschaft als kaufmännisch anzusehen, oder passt auch diese Wendung in die Reihe „Unrichtige Beziehung des attributiven Eigenschaftswortes zum Subjekte“? (Eine Sammlung jener fänd ich spannend.)

    • klartext-jura sagt:

      Danke für die freundliche Zustimmung. Das Verdienst, auf diese Problematik hingewiesen zu haben, gebührt dem erwähnten Professor Günther. Bei „kaufmännisches Bestätigungsschreiben“ habe auch ich den Eindruck, dass das Bestätigungsschreiben nicht die Eigenschaft hat, kaufmännisch zu sein, sondern, dass es sich um das Bestätigungsschreiben eines Kaufmanns handelt. Was die Idee der Sammlung angeht: Bei Günther finden sich sehr viele zusätzliche Beispiele. Man könnte sich aber auch mit Blick auf den heutigen Sprachgebrauch auf die weitere Suche machen. Ergebnisse kann man gerne hier im Blog beitragen.

  2. stdjr sagt:

    Mein Bauchgefühl hat mich erst einmal skeptisch gemacht. Das Verständnis der Funktionen, die Adjektive zulässigerweise haben können, scheint mir zu eng.

    Wikipedia-Recherche:

    1. https://de.wikipedia.org/wiki/Attribut_(Grammatik)

    Attribute sind demnach sowohl „anwaltliche“ als auch „für Anwälte“. Wenn wir einen Unterschied suchen, der „anwaltliche“ überzeugenderweise als falsch (o. ä.) qualifiziert: In der „Kategorie, zu der Attribute gehören, werden wir mE nicht fündig.

    2. Der oben verlinkte Wikipedia-Artikel führt zum Artikel „Argument (Linguistik)“. Von dort kommt man zu „Semantische Rolle“.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Semantische_Rolle

    Hier liegt mE der springende Punkt. Was ist die Bedeutung von „anwaltlich“? Heißt es, dass die Falle den Beruf des Anwalts ausübt (das oder etwas Ähnliches unterstellt mMn der Beitrag)? Wenn es das hieße, wäre „anwaltliche Haftungsfalle“ offensichtlicher Unsinn. Jedoch/deshalb versteht jeder die Haftungsfalle entweder als ein Haftungsrisiko, das der Anwalt trägt, oder eine vom Anwalt aufgestellte Falle.

    Auf ähnliche Weise könnte man (theoretisch) „Haftung für den Anwalt“ missverstehen als „Haftung zugunsten des Anwalts“.

    Fazit: „Anwaltliche Haftungsfalle“ ist mMn vollkommen akzeptabel.

    • klartext-jura sagt:

      Danke für diese ausführliche Analyse. Ich glaube immer noch, dass man wie folgt argumentieren kann: Wenn man „Adjektiv“ als Eigenschaftswort versteht, hätte in der Zusammensetzung „anwaltliche Haftungsfalle“ die Haftungsfalle die Eigenschaft, anwaltlich zu sein. Wenn man allerdings die Attribute anders interpretiert (danke für die Hinweise auf diese Meinung), ist auch ein anderer Standpunkt argumentierbar. Am Ende sollte man sich vielleicht auf das eigene Sprachgefühl verlassen.

  3. […] P.S. Das Thema der Zuordnung eines Adjektivs zu einem Substantiv beschäftigt mich im juristischen Kontext schon länger, vgl. den Beitrag „Kann die Haftungsfalle anwaltlich sein?„. […]

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