Der Vogel Strauß, das römische Recht und die Analogie

Vogel-Strauß-bunt

Ausflüge ins römische Recht sind in aller Regel inspirierend, vor allem, wenn es um Fragen der Methodenlehre geht. In dieser Hinsicht bin ich kürzlich dem folgenden Beispiel begegnet, das ich hier teilen möchte.

Ulpian berichtet in Digesten 9.1.1 pr. über eine Regelung im Zwölf-Tafel-Gesetz. Diese Regelung sah folgendes vor: Wenn ein vierfüßiges Tier (quadrupes) einen Schaden verursacht hat, musste entweder das Tier, das den Schaden angerichtet hat, dem Geschädigten überlassen werden oder es musste Schadensersatz geleistet werden. Nun kam es aber, wie es irgendwann einmal kommen musste: Ein zweifüßiges Tier verursachte einen Schaden. Die Rechtshistoriker sind sich nicht ganz darüber einig, um welches Tier es sich dabei wohl gehandelt haben könnte. In Frage kommt der Vogel Strauß, der seinerzeit in Rom nicht nur bekannt, sondern auch präsent war. Wie ist nun diesbezüglich die Rechtslage nach römischem Recht zu beurteilen? Schließlich ist ein zweifüßiges Tier kein vierfüßiges Tier.

Der römische Jurist Paulus löste den Fall dahingehend, dass die entsprechende Klageart auch gegeben sei, wenn nicht ein Vierfüßler, sondern ein anderes Tier den Schaden verursacht:

Haec actio utilis competit, et si non quadrupes, sed aliud animal pauperiem facit.

(Digesten 9.1.4)

Aber mit welchem methodischen Sprungbrett ist Paulus über die Wortlautgrenze (Zweifüßler ungleich Vierfüßler) hinweggekommen? Es liegt die Hypothese nahe, dass er einen Analogieschluss im Sinn hatte. Und weil diese Hypothese so nahe liegt, übersetzt man hin und wieder die Paulus-Stelle gleich wie folgt:

Diese actio wird als analoge gewährt, wenn nicht ein vierfüssiges, sondern ein anderes Tier den Schaden verursacht hat.

Quellenbuch zur Privatrechtsgeschichte, ausgewählt und übersetzt von Bruno Huwiler, 10. Aufl. 2011, § 1 14e, S. 12

Im lateinischen Text steht nicht „als analoge“. Das ist also keine Übersetzung mehr, sondern eine weitergehende Interpretation. Diese Deutung ist aber zugegebenermaßen sehr naheliegend.

3 comments

  1. Antarmis sagt:

    Wenn eine Regelung des Zwölftafelgesetzes vorsah, alternativ dem Geschädigten Schadensersatz zuzugestehen, dann spricht es mit Blick auf den Regelungsgegenstand gerade auch aus, dass zu deren Verwirklichung überhaupt ein Tier ursächlich für den entstanden Schaden war. Da aber jedes mit vier Füßen, das kein Tier ist, schon nicht unter diese Regelung fiele, drängt sich dem Rechtsanwender des Ius Romanum auf, dass es in der Sache nicht auf die Anzahl der Füße des Tieres ankommen könne, vielmehr müsse es – insoweit ausschlaggebend – an dessen Wesenheit, ein Tier zu sein, sich bedingen. Anderenfalls hätte diese Wesenheit für die vorzunehmende Bewertung, ob dem Geschädigten Schadensersatz zustehe, an Bedeutung verloren, wenn naturgemäß ein seiner Gattung nach vierfüßiges Tier durch Verlust eines seiner Glieder sodann tatbestandsgemäß dem Regelungsgehalt nicht mehr entspräche.

    Die analoge Anwendung dieser Regelung auf alle Tiere ist daher zulässig und verstößt in keiner Weise gegen geltende Denkgesetze, insbesondere da das den Wert bestimmende Tatbestandsmerkmal als Begriffsobermenge die Brücke hin zu allen Attributsteilmengen des Begriffs schlägt. Und daran ist zu erkennen, dass eine analoge Anwendung zulässig ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert