Was tun bei Aufbaufragen in Klausuren, wenn selbst Professoren uneinig sind?

In Klausuren steht man immer wieder vor Aufbaufragen, die man aber bekanntlich in der Klausur nicht diskutieren darf. Man soll sich vielmehr für einen Weg entscheiden, der den Korrektor dann hoffentlich überzeugt. Murmann fasst dieses Prinzip in der JA 2012, 728 (732) wie folgt zusammen:

Auch wenn man zu Aufbaufragen durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann, werden die unterschiedlichen Aufbaumöglichkeiten im Gutachten nicht diskutiert. Dahinter steht der Gedanke, dass ein Aufbau selbsterklärend sein muss und deshalb keiner Erläuterung bedarf.

FischNun zu einem konkreten Aufbauproblem, das sich in nicht wenigen Klausuren stellen wird:

Soll/Darf man, wenn tatbezogene Mordmerkmale vorliegen, die vom Vorsatz des Teilnehmers gedeckt sind, die Problematik der §§ 28, 29 StGB ansprechen?

 

Zunächst ein konkretes Beispiel, wie diese Problematik in dem Klausurenkurs von Alpmann-Schmidt in der Klausur B 230 auf den Seiten 5f gehandhabt wird.

B. Strafbarkeit des D

I. Indem D dem M 10.000 € für die Tötung des S bot, könnte er sich gemäß §§ 211, 22, 23 Abs. 1, 26 wegen Anstiftung zum Mordversuch strafbar gemacht haben.

[…]

3. b) Fraglich erscheint jedoch, ob D davon ausging, dass M den S heimtückisch töten würde, da er die Art der Ausführung dem M überließ.

[…]

Da der Anstiftervorsatz die Haupttat nicht in allen Einzelheiten, sondern nur in ihrem Hauptmerkmalen erfassen muss, handelt D folglich mit bedingtem Vorsatz auch hinsichtlich der heimtückischen Begehung durch M.

Es wird in der Lösung also festgestellt, dass D sich wegen Anstiftung zum Mordversuch (Heimtücke) strafbar gemacht hat. Soll jetzt noch auf die Problematik der §§ 28, 29 StGB in Bezug auf Habgier eingegangen werden?

In der Lösung von Alpmann-Schmidt heißt es dazu:

Diese Frage kann in einem Gutachten nicht allein deshalb offen bleiben, weil schon wegen Kenntnis der Heimtücke eine Anstiftung zum Mord anzunehmen ist.

Im Anschluss daran werden die verschiedenen Ansichten, also die der Rechtsprechung und die der Literatur dargestellt.

Aber ist ein solcher Aufbau zu empfehlen? Beulke schreibt dazu:

Zutreffend hat mich ein aufmerksamer Leser der letzten Auflage des vorliegenden Klausurenkurses darauf hingewiesen, dass der Rat, bei Vorliegen tatbezogener Mordmerkmale, die vom Vorsatz des Teilnehmers gedeckt sind, die Problematik der §§ 28, 29 gar nicht mehr anzusprechen, nicht unangefochten ist.

(Klausurenkurs im Strafrecht I, 6. Auflage 2013, S. 86)

Dabei bezieht sich der von Beulke erwähnte aufmerksame Leser auf Rengier, der in seinem Buch Strafrecht BT II (15. Auflage 2014) unter § 5 Rn. 13 dazu schreibt:

[…] dass in einem Gutachten die Fragen des § 28 bei täterbezogenen Mordmerkmalen auch dann aufzuwerfen sind, wenn bezüglich eines tatbezogenen Mordmerkmals der 2. Gruppe eine Anstiftung oder Beihilfe bereits zu bejahen ist. An dieser Bejahung ändert sich natürlich nichts, wenn man anschließend mit Blick auf die täterbezogenen Mordmerkmale zu keiner Mordteilnahme gelangt.

Und jetzt steht man als Student ratlos da und fragt sich, wie man mit der Problematik in der eigenen Klausur am besten umgeht. Die Professoren wissen es selbst nicht so genau. Beulke schreibt:

Eine eindeutige Antwort auf die Frage, welche Strategie nun die bessere ist, fällt schwer.

Diese offenen Worte sind aus studentischer Sicht tröstlich. Letztlich kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an, so Beulke:

Wie detailliert die Ausführungen nach Bejahung eines tatbezogenen Merkmals hinsichtlich der Problematik der §§ 28, 29 noch sein sollten, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Probleme überdies in der Klausur enthalten sind, inwiefern eine umfassende Bearbeitung in der vorgegebenen Zeit möglich ist und wo (für Klausurbearbeiter erkennbar) die Schwerpunkte liegen.

Das sind Worte, die den Erfahrungen von Studenten, die den Zeitdruck strafrechtlicher Klausuren immer wieder spüren, sicher entgegenkommen.

Dennoch gibt Beulke einen Tipp mit auf den Weg, der in der Lösung von Alpmann-Schmidt so leider nicht zu finden ist:

Unverzichtbar erscheint mir jedenfalls, dass der Bearbeiter deutlich macht, dass Fragen des § 28 StGB für die Strafbarkeit des Teilnehmers letztlich ohne Bedeutung sind, wenn der Täter ein tatbezogenes Merkmal verwirklicht hat und sich der Vorsatz des Teilnehmers hierauf bezieht.

An dieser Stelle ist aufbautechnisch also Problembewusstsein gefragt. Man sollte sich merken, dass man dieses – wie von Beulke vorgeschlagen – zeigt, bevor man gegebenenfalls näher auf das inhaltliche Problem eingeht. Auch wenn Beulke weiter dem Prinzip der Ökonomie eines Gutachtens folgend an seiner Ansicht festhält, hat er noch einen Tipp für uns:

Wer auf „Nummer-Sicher“ gehen will, spricht das Problem der Akzessorietätslockerung und die hierzu vertretenen Auffassungen wenigens kurz an. Argumente für und wider die einzelnen Meinungen müssen jedoch meines Erachtens im Rahmen einer Klausur dann grundsätzlich nicht dargelegt werden. Jedenfalls sollte auf eine allzu ausführliche Wiedergabe des Meinungsstreits verzichtet werden, da die Problematik ja nur „hilfsweise“ (für den Fall, dass doch kein tatbezogenes Merkmal vorliegt) erörtert wird. Stets verzichtbar ist es in dieser Konstellation, den Meinungsstreit zu entscheiden. Wer dies tut, erweckt beim Korrektor leicht den Eindruck, nicht erkannt zu haben, dass sie Strafbarkeit des Teilnehmers beim Vorliegen eines vom Vorsatz umfassten tatbezogenen Mordmerkmals eben gerade nicht davon abhängt, welcher Auffassung man bzgl des Verhältnisses von § 211 zu § 212 folgt.

Was will ich mit diesem Beitrag zeigen? Wenn selbst Professoren nicht einig sind, wie ein solcher Fall am besten aufzubauen ist, dann haben Studenten es besonders schwer. Jedoch meine ich, dass Beulke gute Ratschläge gibt.

Nochmal zusammengefasst:

Es geht hier nur um Fallkonstellationen, in denen tatbezogene Mordmerkmale vorliegen und diese vom Vorsatz des Teilnehmers gedeckt sind. Allein dann stellt sich die Frage, ob die Problematik der §§ 28, 29 StGB in Bezug auf täterbezogene Mordmerkmale noch zu thematisieren ist.

– Wenn es zeitlich nicht anders geht, dann haben wir einen Professor auf unserer Seite, der verstehen würde, warum wir auf die Problematik der §§ 28, 29 StGB in Bezug auf täterbezogene Mordmerkmale nicht mehr eingehen.

– Sollte es uns zeitlich möglich sein, so sollten wir deutlich machen, dass Fragen der §§ 28, 29 StGB für die Strafbarkeit des Teilnehmers letztlich ohne Bedeutung sind.

– Und sollte wider Erwarten noch Zeit vorhanden sein (und wir keine anderen Probleme übersehen haben), dann könnten wir das Problem der Akzessorietätslockerung und die dazu diskutierten Auffassungen kurz (aber jedenfalls ohne Streitentscheid) ansprechen. Dabei sollten wir aber immer im Hinterkopf behalten, dass die Diskussion für die Strafbarkeit des Teilnehmers folgenlos ist.

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