„Sie weisen ihn ein gemäß 304 StPO?“

Seitdem ja bekannt ist, dass hier juristische Begleitreflexionen zu Fernseh-Krimis angestellt werden, bekomme ich auch Hinweise auf insoweit einschlägige Passagen. Das ist hilfreich, denn schließlich gibt es ja neben dem Betrachten von Fernseh-Krimis (selbst wenn juristische Erkenntnisinteressen leitend sind) noch anderes zu tun. Im genannten Sinne hat mich ein Kollege auf folgendes Gespräch aus der ARD-Polizeirufsendung „Sturm im Kopf“ (7.7.2017, 22.40 Uhr) hingewiesen. Das Gespräch spielt in der Psychiatrie, in der ein Verdächtiger mit Gedächtnisverlust untersucht wird.

Ärztin: Er braucht ´ne Pause, sonst riskiert er ´ne Psychose.

Bukow: Wie lange?

Ärztin: Bis morgen Vormittag frühestens.

König: Sie weisen ihn ein gemäß 304 StPO?

Ärztin: Na klar, in der U-Haft hat er nichts verloren. Flüchten kann er von hier auch nicht.

(24:49)

Hat das so seine Ordnung?

Der Verweis auf § 304 StPO ist rätselhaft. Denn diese Bestimmung steht im Abschnitt „Rechtsmittel“ und behandelt die Zulässigkeit der Beschwerde:

(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

Zwar wird in Abs. 4 Nr. 1 die „einstweilige Unterbringung“ erwähnt, aber nur um die Beschwerde dagegen zu regeln. Eine auf § 304 StPO gestützte „Einweisung“ ist nicht vorstellbar. Um das zu sehen, bedarf es nicht einmal juristischen Sachverstandes. Es hätte genügt, wenn man für das Drehbuch den Paragraphen nachgelesen hätte.

Aber welche Normen sind nun einschlägig? Die Suche führt uns ins Landesrecht. Der Rostocker Polizeiruf spielt in Mecklenburg-Vorpommern („Meck-Pomm“). Dort gilt das „Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten (Psychischkrankengesetz – PsychKG M-V) vom 14. Juli 2016“.

Es regelt in § 15 die Sofortige Unterbringung:

(1) Eine Unterbringung ohne vorherige gerichtliche Entscheidung (sofortige Unterbringung) kann durch den Landrat oder den Oberbürgermeister vorgenommen werden, wenn

1. eine gerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann,

2. die sofortige Unterbringung das einzige Mittel ist, um die von den Menschen mit psychischen Krankheiten aufgrund ihres krankheitsbedingten Verhaltens ausgehende gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 10 abzuwenden und

3. ein ärztliches Zeugnis über den Gesundheitszustand der Menschen mit psychischen Krankheiten aufgrund einer frühestens am Vortage durchgeführten Untersuchung vorliegt.

Vor der Entscheidung über die sofortige Unterbringung durch den Landrat oder den Oberbürgermeister bedarf es durch diese grundsätzlich einer persönlichen Inaugenscheinnahme der Menschen mit psychischen Krankheiten. Abweichungen hiervon sind besonders zu begründen und zu dokumentieren. Die persönliche Inaugenscheinnahme kann auch in der Einrichtung erfolgen. Bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über die sofortige Unterbringung kann der Landrat oder der Oberbürgermeister freiheitsentziehende Maßnahmen anordnen.

Zugegeben: Im Dialog eines Fernsehkrimis auf diese Vorschrift einzugehen, wäre eine echte Herausforderung. Aber statt eines falschen Paragraphenzitats sollte man besser gar keines bringen. So umgestaltet könnte der Dialog wie folgt lauten:

Ärztin: Er braucht ´ne Pause, sonst riskiert er ´ne Psychose.

Bukow: Wie lange?

Ärztin: Bis morgen Vormittag frühestens.

König: Sie wollen ihn hierbehalten?

Ärztin: Na klar, in der U-Haft hat er nichts verloren. Flüchten kann er von hier auch nicht.

Wer übrigens einen gründlichen Überblick zum einschlägigen Thema studieren möchte, hier ist er:

Peter Grampp, Die unfreiwillige Unterbringung und Behandlung in der Psychiatrie. Inkl. Vergleich der Landesregelungen,  Dresden 2015

P.S. Hinweise der eingangs geschilderten Art werden gerne entgegengenommen. Sie dazu die Seite „Vorschläge“.

2 comments

  1. -thh sagt:

    Mal abgesehen davon, dass dieser Teil des Plots auch medizinisch zweifelhaft erscheint (jemand leidet an einer Amnesie, ohne dass dem eine Psychose zugrunde liegt, würde aber eine Psychose „riskieren“, wenn er sich nicht weniger als 24 h in der Psychiatrie „ausruhen“ kann) und sich daraus nicht ohne weiteres erklärt, ob wirklich die Voraussetzungen der gefahrenabwehrrechtlichen Unterbringung vorliegen – man sollte nicht übersehen, dass es daneben auch eine strafprozessuale „einstweilige Unterbringung“ gibt (§ 126a StPO), die der Untersuchungshaft nachgebildet ist und den dringenden Tatverdacht einer strafbaren Handlung im Zustand der zumindest eingeschränkten Schuldfähigkeit und die voraussichtliche Unterbringung im Maßregelvollzug nach §§ 63, 64 StGB voraussetzt.

    Wenn der dringende Verdacht eines Tötungsdelikts besteht und daher Untersuchungshaft im Raum steht („in der U-Haft hat er nichts verloren“), wird der Betreffende realiter nur in den allerseltensten Fällen auf freiwilliger, betreungsrechtlicher oder gefahrenabwehrrechtlicher Basis in einer psychiatrischen Einrichtung verbleiben; regelmäßig wird entweder sofort oder binnen kürzester Frist entweder ein Haftbefehl ergehen – mit Einweisung oder Verlegung in ein Vollzugskrankenhaus mit psychiatrischer Abteilung – oder eine Unterbringungsanordnung – mit Einweisung in die zuständige Maßregelvollzugseinrichtung -.

    Das macht den Verweis auf § 304 StPO natürlich nicht weniger sinnlos. Man sollte sich aber von dem Gedanken freimachen, ein Krimi – namentlich Polizeiruf oder Tatort – habe irgendetwas mit der Realität zu tun. Es handelt sich um eine Geschichte, die an spannende Fälle anknüpft, diese aber nicht wirklichkeitsnah abbildet und – so steht zu hoffen – das auch gar nicht tun will. Das ist teilweise der Spannungskurve geschuldet (wen interessieren mehrmonatige aufwendige Ermittlungen eines großen Teams? – das Drehbuch muss zeitlich raffen und alle Handlungen auf wenige Hauptpersonen zuschneiden), größtenteils aber das Resultat fehlenden Interesses und daraus resultierender Unkenntnis der Materie, denn vieles könnte man dramaturgisch genauso gut auch richtig darstellen. Tut man aber nicht.

    Weder wird das polizeiliche Handeln und der Ablauf der Ermittlungen bei einem ungeklärten Tötungsdelikt dargestellt, noch in den Blick genommen, dass es nicht reicht, wenn „der Kommissar“ für sich subjektive Klarheit erreicht hat, sondern der Fall aktenmäßig aufgearbeitet und geklärt werden muss; dass dann auch kriminaltechnische Untersuchungen wie auch Vernehmungen nichts mit der Realität zu tun haben und erst recht die rechtlichen Grundlagen vollkommen ignoriert werden, darf dementsprechend nicht wundern.

    Insofern: ich finde es tatsächlich immer spannend, wenn einzelne (juristische) Fehler im Plot herausgegriffen werden, aber es hat schon ein wenig etwas davon, den Ausführungen eines Anhängers der Theorie der „flachen Erde“ zu entgegnen, er habe sich im Geburtsjahr von Galileo Galilei vertan. 😉

    • klartext-jura sagt:

      Danke für den ausführlichen Kommentar und besonders den weiterführenden Hinweis auf § 126a StPO.
      Ich meine aber – auch nach kritischer Selbstprüfung – doch, dass ein Krimi, in dem ausdrücklich Paragraphen genannt werden, selbst den Eindruck erweckt, „irgendetwas mit der Realität zu tun“ zu haben. So viel Zeit muss dann sein, das zu prüfen, oder man lässt es halt bleiben, um die breite Krimi-Interessierte Öffentlichkeit nicht in die Irre zu führen.

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